Kritik

Poesie im Sonderangebot

Brugg hatte wieder einmal zu olympischen Literaturspielen eingeladen. Sie trotzten dieses Jahr primär dem Corona-Virus, und protzten sekundär mit wundersamen Texten; diese allerdings wohlversehen mit hymnischen Werbekommentaren.

Ein Elogen-Beispiel gefällig? Bitte: «Ein fulminantes Lyrik-Debüt, eine neue poetische Stimme, sehr sinnlich, burlesk, mit Obszönitäten kokettierende Poesie des Körpers, von berückender Innigkeit, formalem Raffinement und enormer Bildkraft, sie schreibt das wichtigste lyrische Debüt der Saison, das Hohelied Salomos unter anderen Vorzeichen, sie zelebriert kleine Grausamkeiten im daktylischen Walzertakt und zählt zu den wichtigsten lyrischen Stimmen der Gegenwart, man fühlt sich im ersten Kapitel dieses Buches an die sehr krasse, kühle Drastik des jungen Gottfried Benn erinnert.»

Ohoo! Benn! Lyrik! Drastik und Spastik! Und gleich jede Woche medial zwei bis drei junge Genies! Und immer zwei drei ultimative Bücher der Saison. Und Preise zuhauf in Stadt und Land. Leider auch Laudationes ohne zitierte Belege von dem, was aus ihren Gedichtbänden an die frische Luft will. Also dann haben wir halt gleich selber mal die Probe aufs Exempel offeriert:


morgensonate
kantges auge.
ich gehe harrern & schwer am gesicht
ins lehmbad – paletten aus iris &
tönern der mund, der mault in laumilchen schritten.

der tag, der krummt schon &
strickt die haut in krumen
& hanverschmiert das brickne zubehör
am losen tubensaum

& was du trägst, das nähst du den nebendrähten aus
& ist’s der (fieberhurten) schweiß,
dann bleibt noch die stirn & die wangen stehn tief & gut
& die fundenen hände am kamm.

Alles klar? Die Nebendrähte verbunden? Und keine Fieberhurten an Stirn mit Schweiss?

Wenn Sie dieses und ähnliches gehört und gesehen haben, und Ihnen Hören und Sehen nicht vergangen ist, dann hat sich der Besuch der Brugger Literaturtage zum Rundreigen der germanistischen Performateure offenbar gelohnt.

Denn dort war Lyrik nicht passé, sondern hat «beinahe gottgleich als Urkraft» erfrischt und hat uns «als Irritation und Rätsel» berückt und beglückt. Ja, verflucht noch eins. Das hat eingeschlagen. Was für ein animierendes Potential! Nur eben: Was jetzt? Ist die Lyrik und damit die Welt nun gerettet?

Nun gut, warum nicht? Das forderte heraus. Aber bitte, zu was? Zur Selbstkritik? Auf Egowanderungen zu den Individualparnassen? Oder soll man gleich selber solch enigmatisches Wortgequierle fabrizieren? Und den «eigenen Körper als einen Geschichtenband» verstehen und «in den Wunden munter bleiben»?

Sadomaso, oder was? Beim Zeus und allen neun Musen! Was für ein atem-raubender Krampf, was für eine laokoonische Würgerei! Euterpe und Kalliope, verhüllt Euer Antlitz!

Aber damit nicht genug. Man hängt, wie im Grosswarenhaus das Sonderangebot, gleich noch die neckische Frage dran, ob Literatur ein Verfalldatum habe. Klar, hat sie das. Bei diesen Produkten: Alles eine Frage der Qualität und somit der Vergänglichkeit. Und zwar immer dann, wenn «tönern der mund, der mault in laumilchen schritten». Dixi, confratres!


Kommentare (3)

Ernst Bannwart am 23.09.2020 15:19

Und zum Hektoliteraturtag: Du wagst das zu sagen, was ich vor lauter Höhenangst ob so viel ungesicherter Wortakrobatik nicht mal zu denken wage. Grenzt für mich fast schon an psychedelische Selbstüberlistung. Nicht dass Du denkst, ich halte mein trivial handwerkliches Versmass für das Mass aller Dinge (dafür bewundere ich die grossen Dichter und ihren virtuosen Umgang mit der Sprache viel zu sehr), aber solche verbalpoetischen Sechzehnender sind für meine Hirnwindungen sprachliche Grenzerfahrungen, von denen ich mir das erwähnte überlebensnotwendige Abnehmerfeld gar nicht so richtig vorstellen kann. Aber Kunst ist ja in erster Linie für sich selber da – und dort kann diese Kunst von mir aus auch gerne bleiben.

Arthur Brühlmeier am 12.09.2020 09:38

Also Valentin, willst Du Dich etwa lustig machen über das Tun einer Berufskollegin? Pfui, pfui! (Einfach herrlich.)

Friedrich Mayerhans am 11.09.2020 14:58

Vergessen Sie eines nicht. Die Autorinnen und Autoren sind angewiesen auf solche Veranstaltungen, welche die Verkaufszahlen ihrer Bücher in vielen Fälle direkt proportional positiv beeinflussen. Ein anderes Hefemittel sind Skandale. Aber in der Regel sind das alles brave Leute, welche manchmal zu gerne ihre Trauerweiden begiessen oder mit formalen Zauberkunststücken wie hier dieser «morgensonate» den Leser verdriessen.

Und noch dies:

img

A propos Verskunst. In memoriam Metternich:
Da gibt's einen Schüttelreim.
Hier in der anständigen Fassung:

Was kümmert mich Fürst Metternich?
Mein Vetter liebt viel netter mich.

Hinweis auf die Rubrik DAS AKUTE ZITAT

img

Hier zum höheren Amüsement Verskunst vom Feinsten mit Schüttelreimen. Hier geht's 

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