Gästeseite
NEU: Die Gästeseite
Der Primeur ist geschrieben.
Der Autor Max Dohner setzte sich als erster an den Gästetisch; und das gleich mit Vehemenz und Prägnanz, so wie es diese Seite liebt.
Out nach Begeisterung
Von Max Dohner
Ein Reporter namens Lester versuchte, bei der MilZ eine Geschichte unterzubringen. MilZ stand als Kürzel für die „Mittelland-Zeitung“ Für Lester war der Stoff seiner Reportage berauschend wie der Geruch von altem Pergament aus dem Klosterkeller. Schicht um Schicht reale Mystery.
Es ärgerte ihn, sich in säkular getaktete Köpfe versetzen zu müssen, um sich eine Taktik zurechtzulegen, wie er darin vernagelte Pforten öffnete. Für eine Sicht der Dinge, die Lester gar nicht als eigene verstand, sondern die ihm vorkam wie die Kalligrafie universalen Zaubers.
Indes war Lester zuversichtlich. Im Jahresmotto der MilZ – Leistung mit Begeisterung – steckte etwas Wahres: Es gab nichts Belebtes, auch nichts „Relevantes“, ohne geistige Beatmung. Die Taskforce Communication der MilZ forderte jedes Jahr einen Market Slogan von der Sorte Leistung mit Begeisterung.
Da ihr selten was einfiel, veranstaltete sie jeweils am Samichlaus-Tag unter allen Mitarbeitenden einen Open Creative Sac mit Fitze. Wessen Leitspruch obenaus schwang, durfte den MilZ-Chef einmal an einen VIP-Anlass begleiten. Etwa zum Beeren-Bowle-Talk mit Klaus Schwab am Weltwirtschafts-Forum WEF in Davos.
Unter solchen Auspizien fiel Lester, dem Reporter, ums Verrecken nie etwas ein. Und weil die MilZ außerdem verlangte, das jeweilige Jahresmotto bei jeder Korrespondenz zu verwenden, selbst in Mails, bildete sich um den Gesellschaftsreporter nach jedem Samichlaus monatelang ein schwarzes kommunikatives Loch.
Lester stützte sich eben auf eine andere Prämisse: Auch Leserinnen und Leser wollen beatmet werden. Nach wie vor, glaubte er, schätzten Leserinnen und Leser die Musse anregender Lektüre, um den Geist mäandern zu lassen, glitzernd durch die Tag für Tag gleich erodierenden Schluchten des Banalen.
Mag Lester auch Recht haben – seine Reportage ist nie erschienen.
Max Dohner
Geboren 1954 in Uetikon am See ZH. Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, danach Deutschlehrer. 1980-1985 Auf-enthalt in Nicaragua. Sprach-lehrer an der Zentralameri-kanischen Universität UCA, Managua. Daneben Übersetzer und Dolmetscher.
Seit 1985 Schriftsteller und Journalist. Bis Juli 2019 fest angestellter Autor der CH Media, der zweitgrössten Tageszeitung der Schweiz, danach freier Schriftsteller. Mitglied der Vereinigung Autoren und Autorinnen (AdS). Zahlreiche Preise für Literatur und Publizistik. Vater von fünf Kindern. Lebt in Baden AG.
Bücher siehe: https://maxdohner.ch/web/
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Kommentare (3)
Also gegen Sprachakrobatik und den Samichlaus habe ich gar nichts, mutmasse aber, dass nicht Herr Lester karikiert wurde, sondern die auf Masse getrimmten Anklick-Medien.
Herr Dohner mag sich an seinem extrem sprachakrobatisch gewandt karikierten Herrn Lester freuen, der möglicherweise immer noch an den Samichlaus glaubt. Substanziell und wirklich fragwürdig finde ich eigentlich aber hochdotiert akkreditierte Journalisten oder auch Journalistinnen, wenn sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf Vorkommnisse lenken, die völlig irrelevant sind. Während sie die Probleme systematisch ausblenden, die wahrhaftig von Bedeutung sind/wären: und das scheint mir ganz und gar nicht lustig, sondern - mit Verlaub zum Ausdruck gebracht - nichts anderes als Manipulation.
Soviel Schaum schlagen,
um gar nichts zu sagen?