Gästeseite

Fussballmoral

Von Arthur Brühlmeier, dem Pestalozzi-Kenner, einstigem Pädagogen am Lehrerseminar St. Michael Zug und Mittelschüler im Seminar Wettingen ist ein Gästebeitrag eingetroffen. Er schreibt:

Einer muss ja wohl anfangen. Nachdem ich Dich mit dem Herrn v. Crasswitz ein wenig geärgert habe, versuche ich, wieder Boden gut zu machen. Hier mein Text:

Satirisch dürfe ein Beitrag durchaus sein, schreibst Du. Gut, dann also über das Tschutten. Betrachten wir die Sache erst mal von philosophischer Warte: Rudolf Steiner – ein gescheiter und tiefblickender Mensch – hielt Fussball für verrohend. Schande über ihn! Früher durften Steiner-Schüler nicht tschutten, heute vielleicht schon, denn der Fortschritt ist vielleicht auch dort nicht aufzuhalten.

Nun aber autobiographisch: Dass ich in jüngeren Jahren auch mal einen Match ansah, televisionär oder real im Wettinger Altenburg, sehe ich heute als dunkeln Fleck.

Doch gibt es mildernde Umstände: Martin Andermatt, der vor Jahrzehnten dem FC Ulm auf die Beine half, war viel früher einmal mein Schüler am Lehrerseminar und spielte in der Folge auch beim FC Wettingen. Also fühlte ich mich gerechtfertigt. Als Nummer 10 verteilte er virtuos und generös die Bälle oder versenkte aus 25 Metern das Runde ins Eckige, das sage man so, habe ich gehört.

Da ich ihn ja kannte, war das dann so, als hätte ich selbst das Tor geschossen. Jedenfalls jubelte ich so, wie auch heute jeder Torschütze jubelt. Sie fragen sich, woher ich das als Fussball-Abstinenter wissen könne? Also bitte, man sieht doch gelegentlich die Tagesschau. Nur das Leibchen riss ich mir nicht vom Leib, oder gar den Pullover oder den Kittel. Man hätte das als unpassend empfunden.

Mit welcher Selbstverständlichkeit derzeit beschissen wird, teilt mir mein Aargauer Leibblatt mit: Da kannst du hemmungslos mit einer Schwalbe einen Elfer «herausholen», und du wirst hernach von den Zeitungsfritzen noch bejubelt. Eben Pech, wenn’s der Schiri nicht merkt.

Aber seien wir gerecht: Auf dem Tschuttiplatz gibt‘s auch Moral. Kotzt sich eine Mannschaft die Lunge raus, um ja nicht zu verlieren «zeigt sie Moral». So das Urteil der Zeitungsheinis. Dagegen meine ich hier echte Moral, selbst erlebt auf einem Stehplatz im Altenburg zwischen Wettinger- und YB-Fans.

Da schnappt doch ein wirbliger Blondschopf der Berner einem Hiesigen trickreich den Ball weg, und mein Nebenmann schreit: «Was ist das für eine Sau?» Es war der berühmte schwedische Fussballer Robert Prytz (Siehe Bild, rechts), der damals noch nicht sehr bekannt war. Darauf ein Berner, nicht etwa empört, sondern höflich: «Nehmen Sie das zurück, das ist keine Sau, das ist ein Mensch.»

Hernach der Wettinger, nicht etwa kleinlaut, sondern mit Einsicht und Würde: «Ja, Sie haben recht, ich bin zu weit gegangen, er ist ein Mensch. Die Sau nehme ich zurück.» Somit hatte Steiner nur teilweise recht.


Kommentare (1)

Dr. Canisius Mertens am 20.04.2024 08:39

Rudolf Steiner? «Ein gescheiter und tiefblickender Mensch?» Wie bitte? Da krieg ich jetzt gleich eine eurythmische Tachykardie, spirituelle Magenkrämpfe und anthroposophische Kopfschmerzen.

Gästeseite, für Neues offen.

25. April 2024

Ich möchte diese Seite nicht eingehen lassen. Ist der Alltag tatsächlich mit seinen Geschäften und Gewohnheiten fordernder und mächtiger, als das Bedürfnis, von ihm zu erzählen? Ist nach wie vor schade.
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Eigentlich kein Gästebeitrag

2. April 2024

Persönlich kenne ich Herrn v. Crasswitz nicht. Er ist mir von einem vertrauens-würdigen Schreibkollegen empfohlen worden. Hier sein eingesandter Kommentar zu Ostern, den man durchaus als kontrovers und grenzwertig sehen darf und eigentlich der Rubrik SATIREN zugeführt werden müsste. Hier also sein Beitrag:
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