Querbeet

Das akute Zitat

Weil das «Poesiealbum» bedauernswert schmale bis keine Reaktionen ausgelöst hat, sei hier der Versuch mit dem «Akuten Zitat» eröffnet. Die Zitatstellen fallen in der Regel als Lesefrüchte von Hoch- und Tiefstammbäumen und nehmen aus der Vergangenheit gerne Bezug zur aktuellen Gegenwart.

Wir starten mit einem Zitat aus Tobias Smolletts «Humphry Clinkers Reise», geschrieben in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts, das - abgesehen vom ersten Teil über die damalige, heute demodierte Ständeordnung - ganz gut in unser ruheloses Säkulum passt. Stichworte wären dann «hetzen, rasen und raffen».

Hier also der Ausschnitt:
Kurzum, es gibt keine Rangunterschiede und keine Unterordnung mehr. Die verschiedenen Stände sind durcheinandergemischt, der Mörtelträger, der kleine Handwerker, der Zapfkellner, der Budiker, der Krämer, der Winkeladvokat, der vornehme Städter (Bürger)  und der Hofmann – «sie alle treten einander auf die Fersen» (Shakespeare, Hamlet); losgelassen und angepeitscht von den Dämonen der Verschwendung und der Liederlichkeit, machen sie sich überall da breit, wo man bummelt, reitet, roll, rauscht, drängelt, durcheinanderquirlt, herumspringt, wo es, ein einziger ekliger Hefebrei aus Stumpfsinn und Sittenverderbnis, kracht und knallt. – Alles ist Radau und Hast. Man könnte meinen, es treibe sie irgendein Hirnschaden an, der ihnen keinen Augenblick Ruhe gönnt. Die Fussgänger rennen, als würden sie von Bütteln verfolgt. Die Dienstmänner und Portechaisenträger transportieren ihre Lasten im Trab, Leute, die sich eine Equipage halten, jagen im gestreckten Galopp durch die Strassen. Sogar die vornehmen Bürger, Ärzte und Apotheker huschen in ihren Kaleschen wie der Blitz dahin. Die Mietskutscher schinden ihre Gäule in dampfendem Schweiss, und das Pflaster bebt unter ihnen. Einmal sah ich einen Frachtwagen im Handgalopp durch Piccadilly brausen. Mit einem Wort: Die ganz Nation scheint dem Verstand davonrennen zu wollen.

Hat schon was für sich. Was denken Sie? Man ist für jeden Kommentar dankbar.


Für die «Anglisten» unter Ihnen, hier beigefügt das anklickbare Original.

Kommentare (1)

Martin Suter am 26.08.2020 15:02

Das 18. Jahrhundert im Spiegel des 21. Jahrhunderts … und umgekehrt.
Höchst akut und beklemmend zugleich.

Also doch Schluss mit Poesie, Vers und Reim?

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Zur Illustration und als Mahnung zum Niedergang von Vers und Reim sei hier dieses treffliche Gedicht «Ungereimt» von Ernst Bannwart Zeugnis und Ver-mächtnis. Sie können es nun als

Als PDF herunterladen

Und gleich noch ein weiteres Zitat von Tobias Smollett

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Without all doubt, the fumes of faction not only disturb the faculty of reason, but also pervert the organs of sense; ...

Zweifellos vernebeln die Aus-dünstungen des Parteigeistes nicht nur die Verstandeskräfte, sondern bringen auch die Sinnesfunktionen durcheinander.

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