Querbeet

Poesiealbum
Das Gedicht der Woche 21

Dieses Gedicht weckt Erinnerungen an eine Schallplattenaufnahme vermutlich 1967 von Othmar Schoeck-Werken mit Ernst Haefliger, dem Seminarchor Wettingen, dem Wettinger Kammerchor und -Orchester mit Karl Grenacher.


Josef von Eichendorff

Sehnsucht

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!


Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.


Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die über'm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

Kommentare (1)

Pirmin Meier am 18.05.2020 01:51

Eichendorff. Karl Grenacher. Welch schöne Nostalgie! "Sie sangen von Marmorbildern", eine Anspielung auf die gleichnamige berühmte Novelle des Autors mit der Mahnung gegen Schluss: "Herrgott, lass mich nicht verloren gehen in dieser Welt!"
Der wahre Geheimtipp zu Eichendorff scheinen mir indes seine historischen und literarischen Schriften. Er war einer der ersten grossen historischen und literarischen Essayisten, zum Beispiel mit der Studie "Die Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ordensritter zu Marienburg", ein Juwel der einschlägigen Ordensgeschichtsschreibung. Überdies begründete er zu Zeiten der Brüder Grimm, analog zu deren mehr historisch-philologischem Ansatz, die Literaturgeschichtsschreibung aus dem Geiste der Romantik mit dem Titel "Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland", beginnend mit Novalis, überleitend von den Brüdern Schlegel bis Clemens Brentano, nicht zu vergessen zu dem von Heine wegen dessen Homosexualität "zur Sau" gemachten August Graf von Platen. Aufhorchen lässt der ethisch-religiöse Ansatz, keine Selbstverständlichkeit und doch jenseits von herkömmlichem Moralisieren. Ich würde das geistig-intellektuelle Profil des gerne nach romantischem Klischee eingestuften schlesischen Gross-Poeten nicht unterschätzen, zumal er noch mit zu den Entdeckern Calderons in Deutschland gehört, dessen Seuchedrama "Die Lepra des Kaisers Konstantin" ich dieser Tage gelesen habe. Kompliment für das elektronisch vermittelte dreistrophige Gedicht mit der passenden Illustration. Fast hätte ich gesagt: Ein Wegweiser hinweg aus der Nullepoche!

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