Kritik

«Überall diese Musikteppiche!»
«Querbeet»-Kolumne, GA vom 27.12.19

Einkaufen muss man. Im Bio-Laden oder im Mega-Gaga-Supermarkt. Und Sie müssen parken. Da steigen Sie dann auch in Tiefgargen aus dem Wagen.

Und sie hören sie sofort: Bongotrommeln, Wummerbässe und ein hohes Kummerstimmchen, blechern eine repetitive Endlosschleife plärrend. Eine unter tausend hoffnungslosen Starallüren. Und das pausen- und erbarmungslos.

Sie steigen hoch. Nicht vor Wut, sondern ins Einkaufsgeschoss. Auch da wieder das, was die Marketing-Mobster «Musikteppiche» nennen. Flickenteppiche, welche die «Kauflaune anregen» sollen. Zutreffender wäre, «Ärgernis erregen». Von Musik reden wir erst gar nicht.

Es nennt sich schamhaft «Muzak»: Gebrauchsmusik, ein Produkt des Glaubens ans «social engineering», an die Vorstellung, man könne damit das Verhalten von Menschen in Gesellschaft und Organisationen optimieren, so auch den Arbeitseinsatz der Beleg- und die Kauflüste der Kundschaft.

Der Versuch, die stimulierende Wirkung von Musak wissenschaftlich zu untermauern, ist nie richtig gelungen. Und heute ist er empirisch widerlegt.Eine kurze Privatumfrage bewies es. Niemand hört zu, niemand nimmt den Dudelfunk wahr. Man hat sich an ihn gewöhnt. Wird jedenfalls behauptet. Fakt ist auch, nicht alle Befragten bestätigen das.

Y. Z. zum Beispiel: «Jetzt beschallen sie dich bereits in Arztpraxen. Ich habe die Assistentin gebeten, das abzustellen. Die hat mich angesehen, als hätte ich von ihr verlangt, mir ihre Strumpfhosenmarke zu verraten.» Oder X. Y.: «Ich habe den Coiffeur gewechselt. Bei dem tschingelte dauernd dieser Flachkopf-Hirnriss-Sender, der sich mit seiner geistigen Tiefe einer Strassenpfütze dauernd selbst verspottet.»

Ob in Restaurants, Schuhläden, Papeterien, Fahrstühlen, Kleiderboutiquen, Telecom-Buden und Nagelstudios: Partout akustischer Umweltschmutz, Musik aus der Retorte und Werbespots der simplen Sorte.

Doch gemach. Es gibt auch Ausnahmen. Im Fitnesscenter zum Beispiel. Bittet man den Chef, diese unsägliche Bumsfalleramusik leiser zu stellen. Er tut es. Dafür gebührt ihm ein Audio-Sonderpreis der Hals-Nasen-Ohrenärzte.


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Eine Preziose in der AZ unter KULTUR

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In der Kunsthalle Ziegelhütte sind Bilderteppiche und «berührende Textilien» zu sehen. Und eine Headline zu lesen: «Diese Teppiche gehen unter die Haut.»

Rührig, was so ein eine Vernis-sage-Tippse an fadenscheinigen Metaphern da zusammenge-braut hat. Also bitte: Teppiche ziehe ich, statt unter der Haut, im Wohnzimmer vor, wenn überhaupt. Und «berührende Textilien» nur dann, wenn der Pullover nicht kratzt.

Und dann sind da noch diese «anonymen Köpfe, die keine Lebensgeschichten verraten.» Dafür aber «den Blick auf ein Inneres, auf eine unverstellte Seele.»

Wie bitte? Dann gibt es wohl auch verstellte Seelen im halbleeren Tassenschrank? «Das berührt tief. Bis unter die Haut.» Nein tut es nicht. Hoch-tongeschreibe tut es nie. Das wirkt weder intravenös noch subkutan.

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