Kritik

Profunder Kommentar zu
«POMMIERS INFERNO»

Der belesene und literarisch kenntnisreiche Leser Heinz Bösch hat eine kritische Besprechung verfasst, die ich den Lesern und Leserinnen nicht vorenthalten möchte.

In ihr wird deutlich, dass Heinz Bösch nicht nur ein wenig im Buch geblättert, sondern den ganzen Text genau gelesen und auf Stufe Rezension jetzt ausführlich und vertieft besprochen hat. Dieser kritische Kommentar bewahrt mich zudem vor der Versuchung, in Frauenklamotten und Kränzchen auf dem Dichterhaupt auftreten oder mich mit einem Namen wie Pim de L'Horreur schmücken zu müssen. Und schon gar nicht werde ich fragen wollen, «ob man bei der Gruppe 47 auch singen müsse, oder ob man man nur nackt vorzulesen habe?» Das hat bereits Arno Schmidt für uns erledigt.


Ein Leserkommentar

Von Heinz Bösch

«Pommiers Inferno» habe ich mit heiterem Genuss, mit Neugier, mit Schmunzeln und stellenweise auch mit Stirnrunzeln gelesen. Wenn ich jetzt gleich, als an sich nebensächliche Figur, diesen Eiferer Theophil Steck erwähne, so lasse ich hier jedoch keine Religionskritik-Kritik folgen, auch wenn ich in meiner Wohngemeinde Mitglied der reformierten Kirchenpflege bin. Denn Steck, wie Trentin ihn entworfen hat, ist für mich ebenso eine erbärmliche Gestalt, nicht nur wegen seiner Slow-Motion-Essweise und seiner himmelschreienden freikirchlichen Humorbefreitheit. Allerdings gibt’s für mich – und für den Autor wahrscheinlich auch – im Bereich der Einschätzung von Transzendenz sensible Zwischentöne.

Im Film «Alles über Martin Suter – ausser die Wahrheit» äussert sich der Gefilmte zur Frage nach seiner Beziehung zum Glauben einmal pragmatisch und originell sinngemäss: «Ich brauche unbedingt Glauben, denn das ist für mich eine ungeheure Fantasie- und Inspirationsquelle.» So hat es wohl auch Dante gesehen, der immerhin unter dem Mantel des damals religiös Opportunen äusserst farbige Rache u.a. auch an seinen persönlichen Feinden nehmen durfte, die sein gebeuteltes Leben verschuldeten, so dass Trentin die Comedia irgendwo – auch wieder sinngemäss, aber sehr zutreffend – als Handbuch für Folterknechte bezeichnet hat. Nicht auszudenken, wenn es damals schon klar gewesen wäre, dass es keine Hölle gibt. Da würde uns glatt ein saftiges Stück Weltliteratur fehlen.

Die Skepsis Trentins gegenüber dem Numinosen, wie sie in seinem Inferno aufleuchtet, finde ich inspirierend. Damit habe ich kein Problem, auch wenn bei mir das Unerklärliche und Spekulative eher Neugier als Abwehr weckt und kaum Adrenalin produziert, solange es nicht indoktriniert. Natürlich ist es für mich unbestritten, dass es im Rahmen der einigermassen kritischen Vernunft und der Naturgesetze schon unglaublich viel zu erzählen und zu schöpfen gibt – wie dies seine Bücher auf intelligente Art zu beweisen trachten.

Seine Dante-Fortschreibung beeindruckt mich in ihrer Originalität und in ihrer ausgewogenen Mischung aus Anlehnung, Inspiration und Weiterdenken. Dass Pommier mit seinem Begleiter Dr. med. Maro als Vergil-Behelf neue Pfade beschreitet, indem er im Spital-Souterrain sogar mit ausgesuchten armen Sündern in Dialog treten darf, finde ich höchst aufschlussreich, auch wenn die Resultate dieser Diskurse eher ernüchternd sind. So ist es wohl, Hölle oder Himmel hin oder her. Damit müssen wir uns abfinden. Auch die grössten Gauner sind und waren meist bescheidene Gemüter. Ist doch auch tröstlich oder nicht?

Trentin hat mir einmal erzählt, das Fiktive, Romaneske sei nicht sein Ding. Wenn sich allerdings seine Protagonisten in der Hölle auch sehr alltagskonform bewegen; das Setting und die räumlichen Schilderungen sind doch sehr fantasievoll drum herum gebaut, so dass ich mir schon die Frage stelle, ob er da – zumindest für sich – literarisches Neuland beschritten hat. Wenn ja: Es ist ihm gelungen.

Kein Neuland beschreitet er – und jetzt werde ich etwas kritisch – in der Darstellung von Weiblichkeit. Das fällt mir quer durch seine Bücher auf: Frauenfiguren werden häufig, wenn auch nicht in sexistischen, so doch schon in einem sexualisierten Kontext dargestellt. Doch vorweg: Was da im «Allegro con fuoco» zwischen Pommier und Frau Dr. med. Johanna Béatrice Schönfeld abgeht, finde ich in den zunehmend knisternden Dialogen meisterlich angelegt, schliesslich real prickelnd, hocherotisch und absolut gewinnend, bis zum ekstatischen «Upstairs, somewhere, Mrs Marchbanks enjoyed a personal communion of thought with her husband.» Auch wenn sie einer von Trentins Lesern als «etwas kitschig» bezeichnet hat: Ich finde die Szene hinreissend und in ihrer literarischen Darstellung sehr geglückt. Gleichzeitig sensibel, hemmungslos und lustvoll.

Sie kontrastiert – auf funkensprühender Augenhöhe der Geschlechter – mit dem, was ich vorhin als sexualisiert bezeichnet habe. Mir fällt auf, dass der Autor viele Begegnungen mit Frauen auf ihre Wirkung auf die Männlichkeit konzentriert, diese zumindest beim Erstkontakt; und was solche Eindrücke in der Körpermitte des Mannes auslösen und wie sie «die Hose spannen». Ich habe nichts gegen erotisches Knistern; ich schaue bei einer reizenden Frau auch nicht primär auf die Geformtheit ihrer Handballen.

Trotzdem reimt sich für mich diese da und dort wiederkehrende reduzierte Darstellung auf pralle Hintern und dralle Brüste nicht recht mit dem Niveau seiner sonstigen Sprach-, Wissens- und Denk-Meisterschaft zusammen. Das wirkt auf mich, als würde Bocuse seine Menus in der Sprache Prousts beschreiben und am Ende dem Leser noch eine Prise Aromat empfehlen.

Das passt für mich nicht recht zusammen und mindert bei mir den Genuss seiner Sprachvirtuosität. Klar zeigt Fellini in seinen Filmen (z.B. Amarcord) auch gern barocke Hintern und monströse Titten (Tabakhändlerin!) – aber bei Fellini passt es irgendwie ins visuell-poetische Schema. In Trentins Büchern erlebe ich es als Bruch zwischen dem Niveau seiner Gedanken, Schilderungen und dem Mantra einer sehr rustikalen Virilität und einer evident konservativen Sicht aufs weibliche Geschlecht.

Ich komme trotzdem mit Vergnügen, etwas genereller und sehr gerne auf POMMIERS INFERNO zurück, also auf ein Buch, das ich wie gesagt mit Genuss gelesen habe, auch wenn sich diese Jeanne de Beaujeu als komatös geträumte und gespiegelte Frauenfigur auffällig kapriziert und distanziert gibt, aber gerade deshalb Pommiers rastlose Suche nach dem Ewig-Weiblichen anregt, auch wenn sie seinen Jagdinstinkt mit ihrem Auftreten wortlos und rollenkonform als Dantes göttliche Surrogat-Beatrice in die Schranken weist. Die scheint nun offensichtlich doch nicht von dieser Erde zu sein.

Im Teil IX zerstört Trentin dann auch noch mein gut gehegtes und bestens gehütetes heilige Feindbild von Judas, dem Verräter-Guru, der für dreissig Silberlinge seine Grossmutter verkaufen würde. Beim Lesen dieses schrecklichen Demaskierungskapitels mit der ernüchternden Bilanz, diesen Oberverräter von nun an nur noch als immerhin gebildeten Undercover-Agent des Secret Intelligence Service (MI6) des IMPERIUM ROMANUM betrachten zu müssen, klang bei mir im Hinterkopf ständig Eric Idles «Always look on the Bright Side of Life» mit, dieses Kultlied aus Monthy Pythons «Life of Brian».

Trentins Streifzug in den Krankenhaus-Untergrund und durch die Jahrhunderte mit ihren Missetätern und die eingestreuten Zitate und unzähligen literarischen und historischen Anspielungen finde ich hoch amüsant und ein bereicherndes Lese-vergnügen. Kein Wunder, trägt Frau Dr. med. Schönfeld nach dieser meisterhaft beschriebenen und geistreich-erotisch zelebrierten Liebesnacht ein anderes Namensschild am Revers ihres weissen Ärztinnen-Habits.


POMMIERS INFERNO
© 2022 Valentin Trentin  1. überarbeitete Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-907106-82-2

Verlag: www.swiboo.ch  Druck & Cover: Mobus AG
Gebunden Inhalt: 204 Seiten
Preis im Buchhandel ab CHF 27.- 
Subskription: CHF 22.- plus Porto CHF 2.10 bis 31. Januar 2023

Es kann zudem als Subskription direkt auch bei mir bestellt werden:
info@valentin-trentin.ch genügt.


Kommentare (4)

Alwin Mahler am 31.12.2022 09:48

Um Beides, Herr Keller, um ewigen Schmerz und dauerhaften Scherz.

Ueli Keller am 30.12.2022 16:50

Ob "nel'etterno", oder "ne l'etterno", oder sogar "nell'etterno" die original bzw. originell richtige Schreibweise sein mag, ist für mich weniger wichtig als die Frage, ob es beim Elend der Welt um einen ewigen Schmerz oder um einen ewigen Scherz gehen mag?

Carla Andrea Paganella am 29.12.2022 16:24

Herr Keller bezieht sich auf den Anfang von Canto Nr. 3 der Commedia und zitiert die zweite Zeile nicht ganz korrekt. Es heisst da nicht «si va nel’etterno dolore», sondern «per me si va ne l’etterno dolore», was Kurt Flasch mit «Durch mich geht es zum ewigen Schmerz» übersetzt. So würde das analog in Trentins Ausdruckswelt «per me si va ne l'etterno humore» zu Deutsch etwa heissen: «Durch mich geht es zum ewigen Humor». Das wiederum wird dem Verfasser von «Pommiers Inferno», so wie ich seine Bücher kenne, sicher zupasskommen, wenn er Pommier mit Dr. med. Maro – Wie hiess doch Vergil schon wieder? – durch den Höllenschlund eines Spitalkellers in eine umgestaltete Unterwelt fantasievoll satirisch hinuntersteigen lässt. Und Herr Keller hat recht. Trentin gestaltet das sprachlich grandios und unterhaltsam.

Ueli Keller am 29.12.2022 14:23

"..., per me si va nel'etterno dolore, ...": so steht es über dem Tor beim Eingang zur Hölle bei der Divina Commedia, die ich vor etwa 50 Jahren gelesen habe. Bei den «POMMIERS INFERNO» und beim Kommentar von Heinz Bösch dazu, könnte vielleicht stehen "per me si va nel'etterno humore": frei nach dem Motto "was bleibt noch anderes übrig, als das Elend sprachlich grandios unterhaltsam zu gestalten"?

Artikel in der Aargauer Zeitung

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«POMMIERS INFERNO»
Am 12. November von Maja Reznicek ist in der Aargauer Zeitung erschienen: Ein etwas summarischer Artikel zum achten Buch, der vom Bild mehr den Rahmen als den Inhalt zeigt, aber sachlich durchaus richtig liegt. Was allerdings meine frühere Tätigkeit als Gemeinde-rat von Schinznach-Bad mit dem Buch zu schaffen hat, bleibt wahrscheinlich eines jener Rätsel, die nur Journalisten zu lösen verstehen.

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Interview im General-Anzeiger

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13. Oktober 2022
Soeben erschienen: Ein Inter-view von Annegret Ruoff im General-Anzeiger. Sie könnnen es hier gleich

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Vorschau in der Aargauer Zeitung

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Der moderne Weg in Dantes neuzeitliche Inferno.

Am 14. Februar 2022 erschie-nen: Eine kompetente Vorschau von Maja Reznicek in der Aargauer Zeitung auf das neue Buch «POMMIERS INFERNO».

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