Kritik

Bulletin 122 190522

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Zum Inhalt. Er wird überbewertet. Seine Wirkkraft hängt primär von den Präferenzen der Lesenden ab. Beispiel: Ein Essay über Klobürsten bannt uns vielleicht weniger als die lasziven Eskapaden von Nationalrätin O.! Oder Bergengruen weniger als Benn; und Donna Leon ziehen wir Dante vor.

Hingegen weit wirkmächtiger ist die Sprache. Hier ein Beispiel zur Klärung: «Er ass einen Apfel.» Trivial, öde und substanzlos, wird man denken. Und wer ist ER? Das könnten wir noch dem Kontext entnehmen. Aber dann. Was für einen Apfel? Platons Apfel an sich? Evas Apfel oder die goldenen Äpfel der Hesperiden? Oder zwei von den 1152 Schweizer Apfelsorten, vom Aargauer Herrenapfel bis zum Zürcher Transparent fürs Apfelmus.

Zum Verb «essen» noch dies. Phantasievoll sieht anders aus. Etwa so: «Er konsumierte einen Boskoop.» Klingt aber nach «Kassensturz». Oder: «Er mampfte einen Maigold.» Man hört das Schmatzen noch im Nachbardorf. Und: «Sie knabberte an einem Holzapfel.» Das wäre dann metaphorisch für: «Sie hatte Probleme.»

Man sieht also: Die Wortwahl sorgt für Nuancen. Man kann einen Apfel verzehren, kosten, geniessen, verköstigen, verspeisen oder kauen. Und für gehobenere Kreise? «Er delektierte sich an einer Reinette Blanche de Champagne.» Klingt aber etwas anzüglich.

Nun gut. Aber wie ist das mit dem Stil? Auch hier statt Theorie ein makelloses Beispiel zum Thema Essen.

«In London gibt es alle möglichen Restaurants – vom Restaurant, das einen glauben lässt, man sei in Paris, bis zum Restaurant, das einen wünschen lässt, man wäre es. Es gibt wahre Paläste in Piccadilly, pittoreske Todesverliese in Soho und bizarre Essfabriken in der Oxford Street oder der Tottenham Court Road. Es gibt Restaurants, die sich auf Lebensmittelvergiftungen, und Restaurants, die sich auf unheilvolle Gemüsepampen spezialisiert haben.»

Alles klar? Und wie heisst der stilsichere Autor? P. G. Wodhouse. 


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