Eisenbahn-Nostalgie

Autor Max Dohner kommentiert
«Die VITAFORCE-CHRONIKEN»
Rückblende auf den
15. Januar 2021

Der ehemalige AZ-Autor und Schriftsteller Max Dohner hat die VITAFORCE-CHRONIKEN gelesen. Hier sein ausführlicher und professioneller Kommentar.

Einleitung
In seinem siebten Buch, den «VITAFORCE-CHRONIKEN», schreibt Valentin Trentin über das Leben und Streben in einem Fitnesscenter. Wer nun eine Fibel für Muskeltraining und Laufbandeskapaden erwartet hat, wird nach den ersten Seiten rasch erkennen, dass weit eher über das erzählt wird, wie und was die Leute denken, was sie reden und woran sie glauben.

Sie alle berühren uns mit ihren Weltbildern und bereichern sie mit Szenen aus der «Comédie Humaine Sportive», die teilweise erfunden oder frei gestaltet sind. Das gilt auch für die Ereignisse, die Personen, ihre Meinungen und die Nebenschau-plätze.

Kommentar von Max Dohner
Drei Dinge möchte ich gleich vor allem und besonders hervorheben. Das neue Buch ist sein bestes - mit Abstand bestes. Es gibt wohl mehrere Gründe, die zu dieser Qualität beigetragen haben. Sicherlich die Idee, das Fitnesszentrum zu einer Drehscheibe zu machen und aus den Figuren ein Panoptikum in Porträtkapiteln. Ist natürlich schlau (abgesehen davon, dass es auch grund-human ist, ein Zeugnis von Reife), Secondos und Damen der Emanzipation eine eigene Stimme zu geben - macht zumindest weniger angreifbar.

Vielleicht deshalb ist Trentin die Journalistin in einem Porträt in der AZ bemerkenswert milde begegnet. Jeder Leser, jede Leserin «mit allen Zapfen an der Tanne» sollte das rundweg tun. Es gäbe im Übrigen viel Brillantes aus seinem Buch zu zitieren, etwa die «Wagenburg der Kunstszenen». Oder: «Er schaute mich an, als hätte ich ihm einen Schlager von Heino vorgesungen.»

Die Rollenspiele zeigen - nicht überraschend - weniger ein real soziales Panoptikum, sondern vorrangig jenes des Autors. Das ist vielleicht eine Einschränkung, keine Kritik. Wenigstens nicht so, wie sie an mich adressiert worden war bei meinem Roman «Das Glück der Flüchtigen». Da lasse ich auch drei Leute reden und vom Autor unkommentiert selber denken.

Darauf wurde moniert, alle drei dächten ununterscheidbar gleich, nämlich dohnerisch. Der Vorwurf mag zutreffen, stelle das gar nicht in Abrede. Ich weiss allerdings nicht, ob das - erstens - derart schlimm, und zweitens, ob das anders überhaupt geht, in verschiedenen Köpfen zu hausen.

Anderseits ist mir auch klar: Joyce hat's vorgemacht, im Molly-Bloom-Kapitel seines «Ulysses». Diese Fragen stellten sich wieder bei der Lektüre Personengalerie in Trentins Buch. Tatsächlich scheinen sie - alles in allem genommen - den gleichen Innenraum zu besetzen wie die zwei Hauptprotagonisten Falckner und Schwartz - ihrerseits ein einziger Zentaur zweier geistes-biosphärischer Brudergestalten. Auch die beiden sind geschickt getrennt/verwoben.

Lange habe ich erwartet, die zunächst aufgefächerten Personen würden sich in einem zweiten Teil - mit dann wohl auktorialem Erzähler - handlungsmässig verwickeln, mit den üblichen promiskuitiven Schwänken und Dramen. Ein wenig fand ich es drum schade, dass dies nicht geschah. Dafür wurde die eingeschlagene Ordnung sehr schön durchgespielt, was formal viel zur gestalterischen Stabilität beiträgt.

Stilistisch gibt's nix zu meckern, im Gegenteil. Eine meisterhafte Disziplin legt Trentin hier an den Tag. Er hat nach meinem Empfinden mit wachsamem Auge eine gleichzeitig elegante, flüssige und beherrschte Sprache entwickelt. Die früher üblichen «Chlöpfer» sind klug abgefedert, das einst «Barocke» ungemein gezügelt.
Auf keiner Seite wird das langweilig. Natürlich sprudelt das lustig noch in die eine oder andere Richtung mit den unvermeidlichen Querspritzern, aber das sind mittlerweile Zusatzelemente, keine Abzüge mehr.

Etwas unwahrscheinlich mutet lediglich an, dass sich wie eine Quarzader eine gewisse Misogynie durch alle Personen zieht, auch die weiblichen. Noch ein Detail: «Mee Too», die Bewegung, schreibt sich die nicht korrekt #MeToo? Oder verpasste ich einen Witz?

Rückschau hält niemand von den Auftretenden wirklich gern. Trotzdem berührten mich die Rückschau-Kapitel am meisten. Erinnerung, gut erzählt, geht einfach tiefer. Literarisch hochrangig ist das Schwartz-Kapitel von Seite 137 bis 154, mit einem minimalen «Zucken» zu viel am Ende des dritten Abschnitts. Hier geht's zur Leseprobe.

Die Erinnerung an die Kindergarten-Tante ist für mich kristalline Literatur mit tiefer, auf den Punkt gebrachter Erkenntnis: «Tröpfelnde Metaphysik». Ich staune, beglückt. Meisterhaft auch der Anschlusssatz nach dem Abschnitt über den armen Kerl, der Musiker hätte sein sollen und zum Spengler verknackt wurde: «Glück sah anders aus.»

Möglicherweise übersteigt Trentins Lakonie sogar die Qualität seiner Ironie. Gerne - und dankbar - vernahm ich en passant auch Gutes über diesen Merx; kommt mir irgendwo bekannt vor.


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