Kritik

Gnade, ich lach' mich kaputt:
Tatsächlich die fünfzig wichtigsten
Intellektuellen in Helvetien?

Vom fünfminütigen Lachanfall, schmerzlich gezeichnet im Zwerchfell oder sonst wo, und noch immer nicht ganz erholt, versuche ich mich zu bändigen. Warum denn? War der Anlass eine wirklich amüsante Witze-CD mit v. Hirschhausen und Karasek? Eine Wahlwerbung mit fantasievoller Orthographie? Leoparden-Jupes? Oder Impressionen, welche Radiowanderer in roten Socken früher mal hinterlassen hatten?

Weit gefehlt. Es ist die seit Jahren pandemische Sucht und Unsitte, für alles eine Rangfolge zu entwickeln, für Schlagersternchen und Schnulzengröler, für die ultimativen Bordeaux’, die Unterhosen mit dem bequemsten Tragkomfort, Roman-Bestsellerlisten, der handlichste WC-Spülungsgriff, das tatkräftigste Potenzmittel, das steuergünstigste Kaff, die grössten Politschnorrer aller Zeiten oder das ätzendste Gurgelmittel gegen Angina.

Und jetzt auch noch für die 50 wichtigsten, nicht klügsten oder wortgewaltigsten, auch nicht die gewichtigsten Intellektuellen Helvetiens? Entschuldigen Sie bitte. Ich lache schon wieder. Drei Gründe sind es, die eigentlich nicht zum Lachen sind.

Der erste: Von den 50 kenne ich 19 überhaupt nicht. Nie was gelesen, nie was von denen gehört. Gut: Scheinbar mein Fehler.

Der zweite: Da hat’s Personen darunter, die entweder sich überschätzen oder masslos überschätzt werden. Man will Namen lesen? Tut mir leid, mach ich nicht. Sonst heisst es wieder, ich sei bloss neidisch auf die und den. Ich darf das zurückweisen und fragen, worauf soll man da denn neidisch sein? Auf den Zweijahresfliegenruhm? Auf die medialen Tageskonstellationen? Auf die Tatsache, dass Einige von denen literarisch und künstlerisch an- und ausgeschossen sind.

Und drittens sei auch auf die Kriterien der Auswahl hingewiesen, so etwa auf die Medien- und Netzwerkpräsenz kombiniert mit einer intensiven oder intimen Verbandelung zu den Kulturredaktionen der Journale. Damit dann auch auf die Szenen gegenseitiger Protektion.

Und was soll das Ganze im Finale? Was zum Exempel besagt schon der erste oder der dritte Rang? Oder der zweitletzte? Sagen Sie es mir. Ich weiss es nicht. Bessere Verkaufszahlen? Gut, ist verständlich bei den Hungerlöhnen und Almosen, die Textmacher verdienen.

Was hingegen klar ist: Wenn man eine Liste der angesagtesten Dichter des sagen wir mal 18. Jahrhunderts durchkämmt, dann wird man feststellen, dass damals die in den Charts Hochgerühmten und Vielgelesenen heute kaum noch jemand kennt. Albini der Jüngere, Blum, Drollinger, Gotter und Götz oder von Schnüffis? Nur ein paar erratische Blöcke, die bleiben: Brockes, Hagedorn, Hölty vielleicht, Lenz und Lessing und sicher auch noch Schubart aus soziologischer Warte betrachtet. Der Rest ist Philologenfleiss und Feuilletongehabe.

Kleine Hausaufgabe: Suchen Sie doch jetzt bitte die Analogie zum Zeitgenössischen. Wird dann nicht erhellt, warum ich schon wieder lache?


Kommentare (2)

Christoph Bopp am 07.10.2021 13:26

Danke, Primin Meier, für die aufschlussreichen "Ergänzungen".

Pirmin Meier am 15.09.2021 13:52

Hier finden die Leser einen ergänzenden Kommentar zur Intellektuellenliste der AZ. Zu finden ist der Zugang auf der rechten Spalte.

Neuer *Kommentar von Pirmin Meier

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Jacques-Barthélemy Micheli du Crest (* 28. September 1690 in Genf; † 29. März 1766 in Zofingen)

Hier können Sie *ihn

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Und hier das Buch dazu.

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