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Nostalgie oder was?
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Neulich im Freundeskreis einer önologisch geförderten Gesprächsrunde zum Thema «Alter und Vergangenheit» mit folgendem Dialogstart.

«Jetzt mal ehrlich? Erlebst du gerade eine Art Nostalgie-Phase?»
«Kann sein. Aber so würde ich das nicht nennen.»
«Ja, wie denn?»
«Na ja: ‹A la recherche du temps perdu› würde besser passen. Wie bist du überhaupt auf diese Vermutung gestossen?»
«Ganz einfach: Du berichtest seit Monaten über stillgelegte Bahnlinien, frankierst mit Briefmarken Jahrgang 1949, redest von Klassenzusammenkünften und erzählst vom Leben in den späten 50er-Jahren.»
«Langweile ich euch etwa damit?» 
«Wer nimmt noch vom Château L'Evangile? Oder lieber ein Bier?»

Offenbar sind sie hier nicht gut angekommen, die Revival-Versuchungen des angeblichen Vergangenheits-Beschwörers. Nun ist das aber nun mal so: Je älter man wird, desto eher erliegt man ihnen.

Müsste man, «Das Grauen, das Grauen!» (Zitat Penny in The Big Bang Theory), allerdings nur für Backfische schreiben, man liesse es bleiben; und zwar bevor man gefragt würde, was denn «Backfische» seien, was «Sturmey Archer» mit Velos zu tun hat, oder was ein «Hula Hoop-Reifen» ist.

Und das dann noch festgehalten von einem, der bereits lebte, als der Staat Israel im Januar 1949 Wahlen in die Knesset durchführte und sich 18 Jahre später im
6-Tage-Krieg behaupten konnte, während wir hier frohgemut und bedenkenlos ein Autobahnnetz über Helvetien legten.

Also, was erregt in uns den Zwang zu Rückblende und Retrospektive? Verklärung der Vergangenheit? Wohl kaum. Nostalgie? Eher nicht. Oder Pädagogik: «Schaut mal her, Jungs. So haben wir gelebt, ohne Internet, ohne Natel, Instagram, facebook und Gezwitscher. Und stellt euch vor, wir litten nicht an Auszehrung und wären schon gar  nicht den Tränen nahe gewesen, weil wir das Handy zu Hause vergessen hätten.»

Und jetzt schaue ich halt manchmal zurück und erkenne, dass wir nichts verpasst und sehr wenig zu bereuen haben. Na gut. Manchmal mussten wir uns statt mit «Filet Wellington» mit «Arbeiterkoteletts» zufriedengeben. Was das ist? Ratet mal. Alles kauen wir euch schlaraffösen Konsumheinis nicht vor.


Kommentare (5)

Sonia Michel Eckenstein am 18.08.2020 11:42

Nostalgie oder was? Interessant sowie amüsant. Und bei mir zuhause gab's damals 'Proletarierschnitzel', das waren panierte Servelattranchen - ich mochte diese gerne ;) ... Danke auch für die 'alten' Bahngeschichten, die ich jeweils an meinen Sohn weiterleite, der seit über 30 Jahren absoluter Bahnfan ist und heute mit 33 Ingenieur bei den SBB.

Trentin Valentin am 18.08.2020 11:41

Lieber Arthur Brühlmeier
So ist es. Vorher mit Senf eingestrichen; und heute noch eine Delikatesse.

Arthur Brühlmeier am 18.08.2020 11:34

Ich meine mich zu entsinnen, gelegentlich wenigstens ein Arbeiterkotelett gegessen zu haben: Einen Cervelat, längs geschnitten, in der Pfanne über dem Herdfeuer gebraten.

Albert Fasler am 18.08.2020 10:35

Arbeiterkotelettes? Was soll das denn sein? Die sind sicher nicht vom Kalb, wie diese Kolumne.

Martin Suter msu. am 15.08.2020 19:54

Hervorragend! Einfach nur grandios, diese Betrachtung!
msu. (Wynentaler-Blatt)

Pullman-Inspiration zu gebratenen Servelat-streifen

img

Ganz offensichtlich waren sie inspirierend, die gebratenen Servelatstreifen, denn sie haben es bis jetzt zumindest zu zwei Argot-Wendungen gebracht. Panierte «Proletarierschnitzel» oder mit Senf marinierte «Arbeiterkoteletts».

Wussten Sie aber, dass es in den späten 20er-Jahren bereits die ersten SBB Vorortszüge gab. Sie wurden ab 1929 wegen ihres erhöhten Komforts begeistert aufgenommen. Die anfänglich blauweissen Züge bedachte man in der der Region Zürich mit dem Namen «Arbeiter-Pullman».

Sie waren so etwas wie eine Vorwegnahme der späteren S-Bahn. Die fünfundzwanzig, in den Jahren 1927-1928 in Dienst gestellten Gepäcktriebwagen der Reihe Fe 4/4 (De 4/4, siehe auch Seetallinie) leiteten bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) Ende der 1920er Jahre die Pendelzugs-Epoche (Wende-züge) mit Fern- und Vielfach-steuerung ein.

Für den Einsatz im Agglomer-ationsverkehr von Zürich (Goldküste Zürich – Meilen – Rapperswil) und Basel (Basel – Liestal – Olten) baute man bestehende Zwei- und Dreiachs-Personenwagen in geräumige Doppeleinheiten der 3. Klasse (C-C) bzw. der 2. und 3. Klasse (B-C) um und stattete diese mit einer durchgehenden Steuer-leitung aus. Ein 1. Klasse drängte sich nicht auf.

Zusätzlich wurde eine Anzahl vierachsiger Steuerwagen Bt4 (damals noch Zugführungs-wagen genannt) beschafft. Jeder Doppelwagen besass vier Einstiegstüren, die versuchs-weise mit einer automatischen, vom Führerstand aus steuer-baren Schließvorrichtung ausgestattet waren.

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