Satiren

Töpeln

Im Grosskaufhaus, Bäckereiwaren. Eine ältere Dame – Schachtel ist mir zu pejorativ – steht vor den puderzucker-bestäubten Gipfeln (Hörnchen, Croissants), in der linken Hand die dazu kostenlos offerierte Papiertüte.

Die Dame zögert noch, und mit ihr die rechte Hand. Dann greift sie aber spitzfingrig zu, drückt und prüft die Konsistenz des Gebäcks. Dann legt sie das Objekt der Begierde mit starrer Mimik wieder weg.

Nun bin ich gespannt, was folgen wird. Geht sie uninteressiert stinkfrech weiter, oder aber … da, sie tut es. Sie greift sich ein zweites Objekt, drückt es wenig liebevoll … und legt es wieder weg. Was jetzt? Ich fass es nicht, ich schmeiss’ mich weg. Gleiches Procedere wie bei Nr. 1 und 2. Sie «töpelt» auch an der Nr. 3 herum. Soll ich schweigen oder was sagen? Nein, tu ich nicht. Nützt ja doch nichts. Aber ich erfinde kurz mal einen Dialog auf der Basis ähnlicher Vorkommnisse. Ich frage:

«Haben Sie sich entschieden? Nehmen Sie alle drei?»

«Was, alle drei?»

«Alle drei Gipfel, die sie angetöpelt haben?»

«Was angetöpelt? Und wieso drei? Ich brauche nur einen.»

«Ja gut, aber warum töpeln sie dann gleich drei Stück an? Sind doch alle gleich.»

«Was soll das? Ich töple nicht.»

«Doch, das haben Sie eben getan, drei Mal.»

«Nein, hab’ nicht.»

«Sie können doch bis drei zählen, oder? 

«Werden Sie nicht frech. Ich bin nicht senil.»

«Sind Sie sicher?»

«Wie bitte? Ich bin nicht … was haben Sie gesagt?»

«Senil. Aber wenn Sie es nicht sind, sollten Sie es bleiben lassen.»

«Was bleiben lassen?»

«Die Ware anzutöpeln.»

«Das mach ich nicht. Und überhaupt, das geht Sie gar nichts an.»

«Das stimmt. Es geht nur Sie was an. Ich selber töple nie was an.»

«Ich auch nicht.»

«Doch, Sie haben. Ist doch ziemlich unhygienisch, das Ganze, finden Sie nicht?

«Warum denn, ich habe meine Hände gewaschen.»

«In Unschuld?»

«Was Unschuld? Ich habe keine Schuld und auch keine Schulden.»

«Das mag sein. Aber Ihr Getöpel sollten Sie bleiben lassen. Ansteckung und so.»

«Blödsinn, ich steck niemanden an.»

Sie niest.

«Das ist nur ein Erkältung. Ein harmloser Schnupfen.»

«Aha. Harmlos.»

Sie niest noch einmal. Von Taschentuch keine Rede.

«Hören Sie, ich bin über 80 und habe noch nie getöpelt.»

«Dann also nur heute?»

«Nein, nie! Und jetzt lassen Sie mich endlich in Ruhe, damit ich meinen Gipfel einpacken kann.»

Sie tut es und dreht mir den Rücken zu. Ich geb’s auf. Hätte ja insistieren oder über Starrsinn und Unbelehrbarkeit der Alten räsonieren können. Ich gehe weiter und denke dabei an betagte Kühe und Hornochsen. Und überhaupt, das Töpeln. Ob die Alte schon immer getöpelt hat oder an ihr mehr als drei Mal getöpelt worden ist?

Ich wische die unkeusche Vorstellung umgehend aus dem Gehirn. Aber trotzdem, ich liebe dieses Wort. Ich überlege dann, wie «töpeln» wohl in Deutschland heissen würde? Betatschen, betasten, befingern, befühlen oder bloss anfassen? Ich lasse auch das bleiben und knurre etwas von alten Leuten, die eine Kinderstube vermissen lassen oder schlimmer noch, dort hängen geblieben sind.


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