Home

Depeschen-Bulletin Nr. 237
«Guck gefälligst auf die Strasse!»

Karikatur von Klaus Stuttmann

Das sagt sich so leicht, wenn man doch so gerne die Segnungen der digitalen Ersatzwelten jederzeit geniessen möchte.

Angeblich soll ich etwas schwach auf den Ohren sein. Wie es ich gehört, bestreite ich das kunstgerecht, lasse mich dann doch noch überreden und melde mich an für eine Konsultation beim HNO-Spezialisten. Ich werde mit einem freundlichen «Sie dürfen sich ins Wartezimmer setzen.» in dieses komplimentiert.

Natürlich bin ich überglücklich, dass ich das darf, obschon ich es ja eigentlich muss. Aber wie käme das beim Patientengut an, wenn die Praxisassistentin, so heissen sie heute, verlauten liesse, dass ich mich ins Wartezimmer zu setzen hätte oder setzen müsste. Dann schon lieber dürfen oder: «Bitte setzen Sie sich ins Wartezimmer.» Wie auch immer, ich habe gehorcht, habe die Anwesenden laut gegrüsst und als Quittung ein halbwertiges Geknurre erhalten. Genau! Das mit dem Grüssen: Eine Rarität.

Also sitze ich da und warte erwartungsvoll und umstandsgerecht. Eine Minute später erfolgt ein grussloser Eintritt eines Riesenbengels, Typ juvenil ahnungslos eingebildeter Dutzend-Modeschnösel, gelber Pullover, darüber offene hellblaue Daunenjacke, schwarze Schlabberhosen und modegerecht weisse Turnschuhe mit offenen Schuhbändeln (Schnürsenkeln).

Ich grüsse lautstark. Er knurrt einen freundlich gemeinten aber phonetisch ungeklärten Gruss, zückt subito zombiemässig sein Smartphone und beginnt wie irre auf der Glasplatte herumzufingern. Am liebsten würde ich ihn fragen, was er da denn suche? Ein Paar Converse in rosa? Die Telefonnummer der unwilligen Tussi von gestern Nacht? Stärkere Biersorten oder ganz einfach Gott höchstpersönlich?

Ich lasse es bleiben. Meine Frau empfiehlt mir seit Jahren «Göschenen - Airolo». Was nun aber nicht bedeutet, dass ich im Auto nicht fluche, wenn vor mir ein wie auch immer geartetes Subjekt mit dem Telefonino vor der Nase, alternativ mit RedBull und/oder einer Zigarette in der anderen Hand, die Strasse überquert.

Natürlich hupe ich allein schon deshalb mit Wonne, um zuerst sein verdutztes und dann sein hässiges Gesicht inklusive auch seinen Mittelfinger studieren zu können. Und dass ich auf es zeige und lache, macht dies für es auch nicht besser.

Aber jetzt mal grundsätzlich. Ich hab’s mal gezählt. Von 10 Passanten sind sicher sechs oder mehr mit dem Kästchen vor dem mehr oder weniger geisterfüllten Antlitz beschäftigt. Nach der Devise: Los, ab ins digitale Faulerzauberreich! Wozu noch die Analogien des realen Lebens, wenn man jederzeit grusslos in eine Wahnwelt der Chimären, Illusionen und Wunschkataloge abtauchen kann?

Phylogenetisch bleibt zu befürchten, dass in einigen Jahrhunderten die Evolution dafür besorgt sein wird, dass neben dem Gehirn auch ein Smartphone unter der Schädeldecke brummt. Wobei man jetzt schon den Eindruck gewinnen kann, mit Robotern konfrontiert zu sein, die auf degenerierte Umgangsformen programmiert sind.


Kommentare (2)

Georges Ramstein am 25.01.2023 22:02

Es gibt auffällig viele Menschen, die nichts zu tun und nichts mitzuteilen haben und dies mit dem Smartphone tun.

Ueli Keller am 21.01.2023 11:03

Es soll Theoretiker aller vorstellbaren Geschlechter geben, die be- oder gar verschwören, dass vielen - sozusagen als Supplement zur Covid-Gen-Therapie - am WEF ein Smartphone ins Gehirn gepflanzt worden ist: damit sie noch besser nichts zu denken brauchen.

Übers Dreifältige und ihre Bodencrew
Witze Teil V

4. Mai 2024

Hier wieder eine Hand voller klerikaler Witze. Man darf und soll das, zumindest im Westen. Im Osten sind sie eher nicht zu empfehlen. Siehe «Charlie Hebdo» und Dänemark.
Weiterlesen

Langweiler

3. Mai 2024

Wir wissen es alle, geben es aber selten zu. Viele Zeitgenossen sind peinigend einfallslose Langweiler ... ja, ja, schon gut, da gibt's auch Frauen.
Weiterlesen

Rätsel Nr. 18
Die Lösung

27. April 2024

Wir sind in die Deutschschweiz zurückgekehrt, und zwar auf die zumindest für den regulären Personenverkehr aufgegebene Strecke Koblenz - Laufenburg.
Weiterlesen