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Depeschen-Bulletin Nr. 223
Wer sind wir eigentlich?
Also Papst mal ganz sicher nicht. Uns reicht Kardinal Koch. Und wir sind weder Roger I. noch Charles III. Aber «Können wir Schweiz»? Auch nicht, denn die Sprache deutscher Schmierenblätter liegt uns nicht.
Und für Sätze wie «Wir sind Papst.», «Ich kann Auto.», «Wir feiern Weltmeister.» oder «Rudi, haudi Saudi!» würden wir uns vor Scham mit dem privaten Klappspaten in Tiefen graben, wo uns keiner mehr findet, also irgendwo in die Nähe des neunten Höllenkreis'.
Aber was wäre, wenn uns dort unten jemand fragte: «Wer sind Sie?». Wir wären unserem Ruf gehorchend ehrlich und würden es ihm wahrscheinlich sagen; folglich Namen und Adresse angeben, vor allem aber, dass wir Schweizer sind; dies allerdings mit der leidvollen Folge, dass wir uns die gesammelten Werke seiner Vorurteile anhören müssten.
Und das würden wahrscheinlich die sein: Schokolade, Käse, Taschenmesser, Ordnungsliebe, und wir blieben stets neutral. Zudem seien wir verschlossen, reden nie über Geld, seien sparsam bis geizig, immer pünktlich und zuverlässig, zudem reich aber spiessig.
Gut von mir aus. Aber dass wir Korinthenkacker seien, uns schlecht anziehen und kein richtiges Deutsch können, das lassen wir nicht auf uns sitzen. Vor allem dann nicht, wenn wir jenen auserwählten Deutschen zuhören müssen, die zu schnell und grell oder à la Schweiger und Lindenberg nuschelnd ihre Sätze hervorsprudeln, als hätten sie Angst, man käme dahinter, was für flaches Zeug die dahinlabern. Klar, das gilt längst nicht für alle. Aber es sind immer noch genug.
Und da fragen sich unsere deutschen Freunde, warum sie bei uns nicht überall gemocht werden. Die Antwort ist simpel. Weil wir sie nicht immer verstehen, wenn sie verbal im ICE-Tempo an uns vorbeireden und mit Sätzen wie «Also, ich würde da mal sagen, Sie müssen das so sehen, und das merken Sie sich mal für die Zukunft, denn es muss Ihnen ja klar ersichtlich sein, nicht wahr, dass ...!»
Geschwindigkeit als Qualitätsmerkmal? Hiesse das nicht, rasch irgendwas sagen, rasch dahinschnorren, statt profund zu denken? Da lob ich mir dann wieder den scheinbar gemütlichen Berner, den bedächtig gelassenen Dürrenmatt; oder den sorgfältig sachten Muschg mit seinem schönen Zürichdeutsch. Soll's ja auch geben.
Dann ist aber schon das nächste Vorurteil fällig. Wir seien zu heimatgebunden, will heissen argumentativ kleinräumig, kirchdörflich eingeschränkt. Mag da und dort sein. Aber Gegenprobe: Welches Land hat es geschafft, vier Kulturen nach längeren Kämpfen und Krämpfen friedlich zu vereinen? Und schafft es bis heute, die Dialektik dieser Leistung auszuhalten? Soll ich jetzt endlos Länder aufzählen, wo das nicht so ist?
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Kommentare (3)
Ich korrigiere: Die Sprache von heute, sind die Fehler von morgen. Wobei dieser Satz auch nicht ganz korrekt ist. «Enthält die Fehler ...», wäre besser.
So wird auch ein passender Anzug daraus. «Die Fehler von heute werden zur Regel morgen.»
Was das Sprechtempo unserer lieben Freunde aus dem Norden angeht: Zu zweihundert Prozent mit allen Statements (Autsch!) einverstanden.
Was ihre Sprachdisziplin betrifft, hat eine(r) mal gesagt: «Die Fehler von heute sind die Regeln von morgen.»