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«Hey du, Metternich!»

Jüngst beklagte sich ein guter Freund über die pandemische Duzerei. Ich denke, teilweise zu Recht. Auch wenn man sich nicht wünscht, dass wir uns förmlich benehmen wie am Wiener Kongress. Er schreibt folgendes:

«Wenn mich nächstens ein Bankbeamter duzt, werde ich ihn fragen, wo wir uns näher kennen gelernt hätten? Militär, Bauernhof, in einem Stall? Aber Moment, der Arme kann ja nichts dafür.»

Offenbar wird das jetzt Usanz. Die beiden Grossbanken wollen laut TA «lockerer werden». Neuer Verhaltens- und Dresscode: Nix Krawatte, dafür Sneakers. Und die CS möchte im Gegensatz zur liquidierten Neuen Aargauer Bank (NAB) ihre Kunden gerne duzen. Das wäre dann ein Grund mehr, die Kantonalbank vorzuziehen.

Mein E-Mail-Freund schreibt dazu noch: «Man sorgt sich vielleicht über den weiteren Verfall der Sitten. Über die Abnahme des Respekts vor Personen, die man nicht näher kennt. Oder überhaupt vor dem Mitmenschen.»

Das hat schon was für sich. Obschon ich nicht grundsätzlich gegen das Duzen eingestellt bin. In der Politik war und ist das Usanz. Das kann bisweilen hilfreich sein, wenn es gilt, ein Problem formloser als üblich zu beseitigen, oder ein Projekt zu beschleunigen.

Aber generell plädiere ich nach wie vor für etwas mehr Distanz, ohne gleich in steifem Formalismus zu ersticken.

Wenn die allgemeine Duzerei allerdings zu einem generalisierten Grobianismus führt, dann verzichte ich gerne und zitiere wieder mal Goethe: «Titel und Orden halten manchen Puff ab im Gedränge.»

Kleine Illustration künftiger Ereignisse am Bankschalter. (Quelle TA)


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Kommentare (2)

Georges Ramstein am 16.09.2020 17:02

Ich habe in Dänemark erlebt, dass alle sogar den König duzen. Niemandem ist dabei ein Stein aus der Krone gefallen!
Ob Du oder Sie spielt bezüglich Respekt keine Rolle, denn auch in der so genannten Höflichkeitsform kann man seinem Gegenüber Unanständigkeiten an den Kopf werfen. Oder tönt es besser, wenn man sagt "Sie sind ein Sch..." anstelle von "Du bist ein Sch..."?

Felix Fedier am 13.09.2020 10:44

Absolut einverstanden. «Du» mit Bankangestellten ist ein absolutes no go. Die Banker sollen erst mal ihre Aufgaben machen, uns Kreditnehmer mit kundenfreundlichen Produkten und Verträgen bedienen und dem obersten Management die Boni und Saläre reduzieren. Diese Gnomen in Zürich haben, trotz vergangener Finanzkrise und dem aktuellen Weltgeschehen, bisher nicht sehr viel dazugelernt.

Duzen in Dänemark

img

Eine kurze Replik
Es stimmt: In Dänemark sagt man  «Du» zueinander. Einzige Ausnahme: Die förmliche Anrede für die Königsfamilie. Da gilt «Sie». In alten Zeiten sprachen Höhergestellte Tiefergestellte à la Friedrich Zwo mit der dritten Person Singular an. «Bringe Er mir die Stiefel.»

Oder früher in Schweden:
Noch Anfang der 60er Jahre wurde in Schweden gesiezt. Das empfand man aber als kalt und distanziert. In Schweden war bis dahin aber nicht ein einfaches «Sie» die Regel. Vielmehr bestand die artige Anrede in einem dreiteiligen Konstrukt unter Anwendung der dritten Person Singular. Das klang dann so: «Möchte der Herr Redaktor Malmström gerne zum Abendessen vorbeikommen?»

Ein ironisches Relikt findet man in den Kommissar Beck-Roma-nen von Maj Sjöwall und Per Wahlöö oder den Romanen von Henning Mankell mit Polis-kommisarie Wallander: «Und wie gedenkt der Herr Kommisser den Fall zu lösen?»

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