Region Brugg

Vor 21 Jahren und unvergessen,
Le Scandale régional:
«Brugg International»

Am 12. Mai 2003 titelte die damalige «Brugger Zeitung» der AZ: «Brugg International» löst «Vaterland» ab. Im Salzhaus herrschte grosse Begeisterung bei Jung und Alt am Grand Prix «Neues Jugendfestlied». Zu Unrecht, wie ich gerne und ausnahmsweise mal unnachgiebig festhalten möchte.

Seitdem wird dieses Elend von Verseverschnitt jedes Jahr unbesehen gesungen. Und jedes Mal leiden poetisch versierte Köpfe unsägliche Pein, die sie nur mit Alkoholika lindern können. Doch lesen Sie gleich selber, was damals die fünf dichtenden Hausfrauen der Muse des Chorgesangs (Terpsichore, Mutter des Orpheus, verhülle dein Angesicht.) angetan haben.


Em Norde vo der Schwiiz, grad i der Metti,
Do stoht e chlini Stadt, und die heisst Brugg.
Wer einisch do gsi esch, mer gönd e Wett i,
De chonnt au secher emmer weder zrugg.

Refrain:
Mer Junge z’Brugg
Händs bsonders guet.
Mer send do gärn deheime,
Öb Schuel, Sport, Musik, Pauseplatz,
bi eus do esch es cool.

Bem Neumärtplatz tönt's Spanisch, Dütsch ond Törkisch,
im Aargau semmer international,
Albanisch, Änglisch ond au Italiänisch,
vel Sproche ghörsch bi eus, das esch normal.

Refrain

Vel reise met em Flugzüg rund om d’ Ärde,
gsehnd Bärge, frömdi Städt ond s’grosse Meer.
Wer weder hei chonnt, muess ned truurig wärde,
Das Städtli a der Aare bietet meh!

Refrain


Hier nun pro memoria, pro pudorem und post festum mein Kommentar vom 4. Juni 2003 in der AZ, von dem ich heute noch keinen Zoll abweichen würde, falls das jemand verlangte, was natürlich niemand tut, denn an Verskunst sind die Leute offenbar genau so interessiert, wie ein Tiger an einem veganischen Menü. Hier bitte:

BRIEFE AN DIE AZ
Le scandale régional: «Brugg international»

Zum neuen Jugendfestlied
Nun hat die Stadt Brugg sein «Vaterland» offiziell und endgültig aus dem Jugendfest verbannt und ein Lied aus dem Mütterland zum Nachfolger ernannt. Dort sind nun fünf dichtende Stieftöchter der Muse Terpsichore ganz aus dem Werkhäuschen für kreatives Schreiben: «Wir können es noch gar nicht fassen», meinte strahlend eine der Damen, welche mit Reimversuchen Applaus verbuchen.

Nun, es ist wirklich nicht zu fassen. Es ist nicht zu fassen, dass Verse, welche daherholpern wie ein Güterzug nach einer Vollbremsung, die herumhinken wie ein Fussballspieler nach einem Tritt ins Schienbein, dass dieses stockende Versgeklapper, das selbst Notker dem Stammler das Fürchten gelehrt hätte, dass diese Gelegenheits-Verlegenheit nicht als das wahrgenommen worden ist, was sie ist: nämlich dilettantisch, hölzern und von luftigem Gehalt.

Da stimmen weder Versmass noch Silbenzahl, da stolpert der Rhythmus, die Reime sind Qual. Da folgt auf international normal und auf törkisch italiänisch und auf das Meer folgt meh. Dazu Karl Kraus: «Der Reim ist das Ufer, wo sie landen, sind zwei Gedanken einverstanden.»

In Brugg international sind weder Gedanken vorhanden, noch sind sie mit der Lautung einverstanden. Dabei wäre es doch so einfach: Auf italiänisch ginge dänisch, auf normal empfiehlt sich formal und auch das Meer könnte mit sehr, hehr und Teer abgerundet werden.

Also wie wär’s vielleicht damit:

Bem Neumärt tönt’s selte japanisch,
Aber mängisch halt pakistanisch.
Was fasch nie ghörsch, isch dänisch,
Defür meh türkisch und italiänisch.

Doch stört das de weltoffni Brugger?
De stoht do sicher ned quer.
Nur’s Dütsch goot immer meh zrugger,
Mit dem isch's nümm wiit her.

Diese Version gibt - wie der Rote Platz - inhaltlich auch nicht mehr her, aber befriedigt vielleicht die Ansprüche der Formenlehre, die im Falle von Brugg international eher zum Ausdruck einer Normenleere entartet ist.

Aber lassen wir das! Wenden wir uns dem Inhalt zu. In der ersten Strophe erfahren wir, dass Brugg in der Mitte des schweizerischen Nordens klein da steht, und dass man – jede Wette – immer wieder zurückkommt. Letzteres stimmt, aber nur, wenn die Damen der Schreibgruppe Brugg in sich gehen und vermehrt tief unten dem Rauschen der Aare lauschen, das uns ein ehrfurchtsvolles Schweigen empfiehlt.

Der zweiten Strophe entnehmen wir, dass es beim, und nicht auf dem Neumarkt-platz vielsprachig ausländisch tönt, was offensichtlich einen Herrn Stirnemann ins xenophobe Alphorn blasen liess, was dann wiederum einen Herrn Brügger provozierte, dem Ersatzlied für das Vaterland den Alpsegen zu erteilen; denn «im Aargau sind wir international und das ist normal.»

Normal mag das ja sein, aber wahr ist es nicht: Der Aargau ist seit 200 Jahren wohl doch eher kantonal, und Brugg muss sicher nicht um seinen Ruf als konservatives Städtchen bangen, in dem unverhofft Poesie und Ekstase wie Blumen des Bösen aufbrechen und dem Bezirkshauptort plötzlich zu internationaler Bedeutung verhelfen; jedenfalls so lange nicht, wie die fünf Vestalinnen des häuslichen Herdes das Dichten nicht lassen können.

Die dritte Strophe schliesslich will beweisen, dass die Stadt an der Aare mehr biete als Erdumrundungen, Berge, fremde Städte und das Meer; und wer dann wieder nach Hause komme, müsse nicht traurig werden. Dieser Trauerabstinenz stimme ich gerne zu; vor allem aber wird der verlorene Sohn nicht in einen Pullover weinen müssen, wenn Brugg international später einmal als eine etwas peinliche Episode lokaler Kultur ersetzt und vergessen wird.

In diesem Kontext darf man aber auch gespannt sein, wie auch in der Gegenwart die classe pédagogique reagieren wird. Wird sie frohgemut diese holzfüssigen Gichtverse von den Kindern nach wie vor singen lassen; oder wird sie ein Zeichen setzen und sich endlich verweigern? Vorteil: Für Frau Doktor med. Keller würde die Zukunft heller!

Oder stimmt für Brugg, international oder nicht, eben doch nur, was der schon einmal erwähnte Karl Kraus gesagt hat: «Dort, wo die Sonne der Kultur tief steht, werfen auch Zwerge grosse Schatten?»

Und nach wie vor denke ich: Das Lied taugt nichts. Ersetzt es endlich.


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