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«E. Gabriel & Cie. GmbH»: Textprobe 4

Bildkommentar: In den 50er-Jahren wurden den Patienten noch Zigaretten angeboten und verkauft.

Dieses Mal erhalten Sie eine kurze Textprobe aus dem vierten Buch «E. Gabriel & Cie. GmbH», nämlich den Anfang der Spitalnovelle: «Die zehn beschissensten Dinge dieser Welt».

Die zehn beschissensten Dinge dieser Welt

»Nun, es ist, wie ich gedacht und Ihnen bereits angedeutet habe, Sie haben keinen Krebs.«
Der unbestreitbar smarte und gut aussehende, wahrscheinlich vom Skiweekend gebräunte Chefarzt mit dem wilden Blondhaar lächelte wie Siegfried beim Anblick Kriemhilds, wenn auch etwas sehr professionell und zu flüchtig.
Warum sehen Sauerbruch-Mutanten mit ihren randlosen Goldbrillen fast immer gut aus? denkt Karl (Karlo) Oberholzer. Der da auch. Wenn auch vom Alter und der Verantwortung schon ein wenig angekratzt, aber dennoch sehr gepflegt, wirklich sehr gepflegt. Eau de Toilette vom Feinsten, mindestens Boucheron.
»Das Ergebnis der Biopsie war signifikant: Eine an sich harmlose Zyste. Die mussten wir elektiv entfernen. Die Prognosen sind da nicht immer günstig. Jetzt aber schon. Wie auch immer, die OP gestern war reinste Routine.«
»Reinste Routine, sagen Sie? Das hört man gerne«, antwortete Oberholzer und grinste angemessen gläubig zurück, dem Superlativ und der ärztlichen Kunst gewogen, also auch zutraulich, und meinte dann, obschon er genau wusste, dass er nie im Leben ein Buch schreiben würde:
»Schade, ich wäre so gerne mal ein tragisch komplexer Fall gewesen. Jetzt kann ich die Novelle über meinen Privatkrebs vergessen.«
Chefärztliches Stirnrunzeln, sollte wohl missbilligendes Staunen andeuten. Oberholzer liess sich aber nicht aufhalten.
»Sie wissen doch, Krankengeschichten sind jetzt gross in Mode auf den literarischen Laufstegen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte der Weisskittel nun doch höflich uninteressiert aber leicht verunsichert nach. Seine Domäne ist das Skalpell und weniger die Belletristik.
»Na ja, jedes dritte literarische Grabstein-Elaborat kämpft heutzutage zwischen den Buchdeckeln entweder mit der heimtückischen Krankheit, mit Inzest oder Autismus.«
»Ach so, das.«
Der Herr Chefarzt lächelte verbindlich. Gebleichte Zähne. Edelste Colgate-Werbung, telegen und verlogen. Putzt dieser Ersatz-Semmelweis die Zähne mit Schmirgel-papier oder Pfannenstahlwolle? Der Chirurgie-Strahlemann sagte jetzt leicht ennuyiert:
»Ich lese sowas nicht. Woher auch soll ich mir die Zeit stehlen? Und danken Sie Gott, dass Sie keinen Krebs haben.«
Jetzt der auch noch, dachte Oberholzer und versuchte, sich Gott vorzustellen.
»Mach ich. Ab sofort jeden Tag«, antwortete er und wedelte ein wenig mit der Friedenspalme.

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